Vom Unsinn des positiven Denkens
„Du musst nur positiv „DENKEN“ - dann erreichst Du alles was Du willst!“ Solche oder ähnliche Sätze haben wir alle bestimmt schon einmal irgendwo gehört. Und wer von uns ist nicht darauf reingefallen 😂? Es ist ja auch zu verlockend zu glauben, dass man nur mal kurz etwas neues „POSITIVES“ denken muss und schon ändert sich das ganze Leben, genauso wie man es haben will.
Wenn man kurz fünf Minuten über das Ganze nachdenkt, müsste einem eigentlich auffallen, dass dies tatsächlich nicht funktionieren kann. Jeder, der im Selbstversuch bereits einmal begonnen hat, anhand von positiven Gedanken gepaart mit der dazugehörigen Disziplin, sein Leben zu ändern, hat irgendwann frustriert aufgegeben.
Woran liegt das eigentlich? Und warum hört es nicht auf, dass man immer und immer wieder von verschiedenen Seiten zu hören bekommt : „ Du musst einfach nur positiv denken, dann kannst Du alles haben was Du willst…“ Gerne darf man sich dann auch noch als Zusatz anhören: „ …wenn es bei Dir nicht funktioniert, dann machst Du etwas falsch!“
Die Krux an der Sache ist, dass die Formulierung völlig falsch ist - NUR mit positiven Denken verändert sich rein gar nichts. Ganz im Gegenteil - im unglücklichsten Fall wird alles nur noch schlimmer als vorher.
Der Gedanke ist uns BEWUSST - das Gefühl ist uns UNBEWUSST, es ist einfach da. Wir alle werden aber von unserem Unterbewusstsein gesteuert. Dinge, die wir tun und wie wir sie tun, werden von unserem Unterbewusstsein geleitet, ohne dass wir bewusst eingreifen können. Oder fragen Sie sich jeden morgen, warum kann ich aufstehen? Was führt dazu, dass sich meine Beine bewegen? Nein, natürlich nicht. All diese Prozesse laufen unbewusst ab.
Nicht der Gedanke ist das entscheidende Element, um sein Leben zu verändern. Ausschlaggebend ist das Gefühl, welches hinter dem Gedanken steht. Leider wird dieses in den meisten Ratgebern aber gerne ignoriert. Hört sich auch nicht so einfach und gut an und verkauft sich nicht so blendend.
Ein Gefühl zu verändern ist eine viel schwieriger Aufgabe, als einen positiven Gedanken zu denken. Sie können ein halbes Jahr lang jeden Morgen aufstehen und sich - idealerweise - vor dem Spiegel sagen, dass es ihnen gut geht. Ihr Leben wird sich dadurch aber kein Stück verändern, weil das Gefühl dahinter, einfach nicht dazu passt. Wenn Sie möchten, dass es Ihnen besser geht, muss es ihnen ja im Augenblick schlecht gehen und genau das fühlen sie auch. Sich EINFACH nur jeden Tag zu sagen, dass es Ihnen gut geht reicht nicht aus. Das Gefühl wird Ihnen immer wieder signalisieren, dass das Gesagte eine Lüge ist. Ihr Unterbewusstsein (sprich Ihr Gefühl) lässt sich nun mal nicht bescheißen. Ihrem Unterbewusstsein ist es auch völlig egal ob Sie das Gefühl, welches Sie wahrnehmen als negativ oder positiv empfinden. Es ist einfach, was es ist. Ein Gefühl, nicht mehr und nicht weniger. Um ein Gefühl dauerhaft zu verändern, müssen Sie sich ganz andere Fragen stellen. Sie müssen Ihr Tun hinterfragen und vermutlich ein ganzes Stück in Ihre Vergangenheit (Kindheit) reisen. Sie müssen sich Muster ansehen, denen Sie immer wieder folgen. Sie müssen sich mit Ihrer Familie auseinandersetzen und Sie müssen sich fragen, warum Sie sich so fühlen, wie Sie sich fühlen. Oder warum ein Mensch oder eine bestimmte Situation, in nicht enden wollender Dauerschleife, immer wieder ein und dasselbe negative Gefühl bei Ihnen auslöst.
Ein Gefühl ist etwas nicht greifbares, etwas was manchmal sehr flüchtig ist und was die meisten Menschen kaum beschreiben können. Fragen Sie sich selbst einmal, wie Sie sich gerade fühlen. Vielleicht werden Sie spontan sagen „normal“. Aber was genau bedeutet es denn, sich „normal“ zu fühlen? Wie fühlt sich „normal“ an? Wie fühlt sich Traurigkeit an, wie Liebe, wie Glück, wie Einsamkeit - was passiert im und mit ihrem Körper bei all diesen Gefühlen? Was machen diese Gefühle aus? Wie Sie feststellen werden, sind diese Fragen nicht einfach mal so zu beantworten. Sie müssen sich Zeit nehmen, Sie müssen sich Gedanken machen und Sie müssen sich unbequemen Wahrheiten stellen. All das führt nicht unbedingt dazu, dass wir Menschen scharf darauf sind, uns mit diesem Thema auseinander zusetzen. Wir Menschen mögen es, Konflikte und unangenehme Situationen zu vermeiden. Keiner erkennt gerne bei sich bestimmte Unzulänglichkeiten. Es ist ja auch viel einfacher den „Fehler“ im Gegenüber zu suchen als bei sich selbst.
Positiv Denken ist ein Lifestyle Trend, positiv Fühlen mit Sicherheit nicht!
Beim Fühlen müssen Sie in die tiefsten Ebenen Ihres Seins absteigen, müssen sich Ihre Schatten und Dämonen anschauen, um zu verstehen warum Sie sich so fühlen, wie Sie sich fühlen. Das hat am Anfang selten etwas mit Freude zu tun. Ganz im Gegenteil - die Beschäftigung mit seinen Gefühlen ist wohl eine der größten Herausforderungen im Leben, es ist anstrengend und unbequem. Es ist aber auch der einzige Weg, um sich selbst wirklich kennenzulernen und zu verstehen. Gefühle lassen sich abspalten und unterdrücken - auf den ersten Blick. Sie arbeiten dennoch immer weiter im Untergrund und treten an den verschiedensten Stellen im Leben zu Tage. Wenn man sich darauf einlässt, seine Gefühle tatsächlich wahrzunehmen und sie zu verstehen, dann kann wahrhaftig dauerhaft Veränderung eintreten. Man kann nur etwas verändern, von dem man weiß.
Wenn Sie in Ihrem Job unglücklich und frustriert sind, weil Ihr Job nicht Ihren Vorstellungen und Erwartungen entspricht, können Sie unglücklich und frustriert bleiben. Wenn Sie ihrem Chef aber mitteilen, was Sie frustriert, kann er an der Situation etwas ändern. Meistens sind Mitarbeiter total sauer auf ihren Vorgesetzten, weil er nicht „errät“ was den Mitarbeiter gerade beschäftigt. Wir alle gehen gerne davon aus, dass unser Gegenüber doch wissen oder merken muss, was uns gerade stört. Das ist natürlich ein Trugschluss, dazu müssten wir alle Hellseher sein.
In diesem Beispiel sind Sie das „Bewusstsein“ und Ihr Chef das „Unterbewusstsein“. Sie sind „bewusst“ sauer, aber Ihr Chef weiß „unbewusst“ nicht warum. Wenn Sie aber das Gefühl genau identifizieren, was dazu führt, dass Sie sauer sind, dann können Sie dies Ihrem Chef mitteilen und die Situation kann sich verändern.
Wir Menschen möchten gerne schnell eine Veränderung unserer Situation, aber bitte ohne viel Aufwand und Seelenstriptease. Das funktioniert beim Fühlen leider nicht.
Positives „Denken“ ist dagegen um ein vielfaches einfacher - bringt nur nix. Oder glauben Sie, dass wenn Sie nur schön jeden Morgen vor Ihrem Spiegel laut denken „ich bin nicht frustriert von meinem Job“, dass sich dann etwas ändert? Wohl kaum.
Ein schlechtes Gefühl in ein gutes Gefühl zu verwandeln setzt immer einen Entwicklungsprozess in Gang. Und dieser Prozess hat auch immer etwas mit Leid und Schmerz zu tun. Erst wenn Sie sich alle Gefühlsfacetten angeschaut und als Teil von Ihnen akzeptiert haben, wird sich das Gefühl langsam verändern können. Die meisten Menschen hoffen, sich gut zu fühlen und die negativen Gefühle nicht spüren zu müssen. Aber genauso wie Sie nicht lieben können, ohne unter Liebeskummer zu leiden, genauso wenig können Sie sich gut fühlen, ohne zu wissen, wie sich das Gegenteil anfühlt . Erst wenn Sie spüren, wie sich Leid anfühlt, können Sie auch fühlen, wie sich Glück anfühlt. Das Eine geht nicht ohne das Andere.
Wenn sich das schon beim Lesen so schwer anfühlt, weshalb sollte man sich dann bewusst dafür entscheiden, diesen Weg zu gehen?